Ja, tatsächlich kenne ich das gut. Bei einem BDSM-Stammtisch, wo ich ab und zu mal bin, wurde ich von Unbekannten schon mehrfach als dominant eingeschätzt. Ank wollte mir bei einem Weihnachtsmarktbesuch auch erst nicht glauben, dass ich daheim einen großen Berg Kuscheltiere in meinem Bett horte.
Ich glaube, das hat etwas mit meiner Jugendzeit zu tun. Meine Eltern nannten mich immer ein „Sensibelchen“ und ich habe wohl auch eine besonders intensive Empfindungswelt. Ich fotografiere gerne, weil ich Details wahrnehme, die andere übersehen. Die richtige Musik rührt mich oft zu Tränen und Leute haben mir auch schon nachgesagt, ich sei zu empathisch oder zu gut für diese Welt (im negativen Sinne von naiv, leichtgläubig, vertrauensseelig gegenüber Fremden). Ich bin einfach jemand, der Fremden tendenziell erst mal vertraut und gerne mit allen Leuten gut klarkommen möchte. Ungelöste Konflikte mit Personen nagen in mir und beschäftigen mich.
Weil mir aber mein Umfeld immer wieder eingeredet hat, ich müsste diese Gefühlswelt viel strikter kontrollieren und mir auch ein dickeres Fell zulegen, habe ich das wohl auch gemacht. So bis zum Alter von 13-14 wurde ich in der Schule sehr geärgert (heute würde man es Mobbing nennen) und die Reaktion meiner Eltern und Lehrer auf meine Bitte um Hilfe war halt: Das ist dein Problem, löse es, man wächst mit seinen Aufgaben, Schulwechsel kommt nicht in Frage.
Ich habe dann irgendwann realisiert, dass es das Heulen, Schreien und hilflose, unbeholfene Herumfuchteln mit den Armen war, das die Leute im Bus von mir sehen wollten. Deshalb haben sie mich geärgert – weil ich dann so schön Terz gemacht und geheult habe.
Irgendwann habe ich mir geschworen, das Alles ganz tief in mich rein zu verschließen und mir nicht mehr anmerken zu lassen, wie es mir im Inneren geht. Als ich dann stoisch jedwede Attacke über mich habe ergehen lassen, haben sie sich tatsächlich schnell ein anderes Opfer gesucht – dann machte es ja keinen Spaß mehr. Außerdem habe ich mit Kampfsport angefangen, sodass ich mich heute mit meinen Armen gezielter wehren könnte.
Da ich auch gerne Präsentationen halte und das bis heute im Beruf regelmäßig tue, habe ich das selbstsichere Auftreten weiter perfektioniert. Auch wenn ich vor einem Meeting im Inneren durchaus noch aufgeregt bin, übernimmt da komplett die rationale Seite das Kommando und ich funktioniere. Oft weiß ich davon danach aber nur noch wenig – das ist dann wie ein Tunnelblick und wenn man mich hinterher fragt, wie die Präsentation gelaufen ist, dann kann ich mich kaum noch dran erinnern (Zuhörer sind aber regelmäßig begeistert, also muss es in der Regel gut gewesen sein).
Ich habe dieses Switchen also fest zum Bestandteil meiner Persönlichkeit gemacht:
Ich kann im Alltag meine Ritterrüstung über den Gefühlen tragen und sie manchmal ablegen, wenn mir danach ist. Ganz tief drin ist da aber doch immer die Person, die sich Fürsorge und eine Begegnung auf Augenhöhe wünscht. Ich glaube, deshalb ziehen mich sowohl das ABDL als auch BDSM-Klinikszenarien so in ihren Bann. In beiden Welten kann man Fürsorge, Hilfsbedürftigkeit, Empathie, aber auch Machtgefälle und eine (professionelle) Distanz einbauen. Das kickt mich.
Um zu deiner Ausgangsfrage zurück zu kommen: Wirklich falsch eingeschätzt hat man mich also nicht, nur halt noch nicht vollständig durchschaut. Das ist ja vielleicht auch gar nicht so schlecht
.