Neuer Blogpost bei Kink mir Herz: Wie viel Abgrenzung ist sinnvoll?

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linus
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Neuer Blogpost bei Kink mir Herz: Wie viel Abgrenzung ist sinnvoll?

von linus » 10.01.2020

Chichibi hat auf auf ihrem Blog einen neuen und wichtigen Beitrag veröffentlicht.
https://kinkmitherz.de/2020/01/10/abgre ... -spektrum/

"Wer sich ein wenig mit dem Little-Thema auseinander setzt, stößt schnell auf verschiedene Begriffe. Viele dieser Bezeichnungen grenzen sich sehr voneinander ab, andere sind mehr als Erweiterung zu verstehen. Es ist nützlich, unterschiedliche Wörter für unterschiedliche Dinge zu haben. Doch eine zu rigorose Unterscheidung führt auch zu Ablehnung und Vorurteilen....(weiter lesen)"

was denkt ihr über die ganzen Begriffe, Bezeichnungen und Abgrenzungen innerhalb der Szene?
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Thias
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Re: Neuer Blogpost bei Kink mir Herz: Wie viel Abgrenzung ist sinnvoll?

von Thias » 10.01.2020

Danke für den Hinweis auf den wirklich sehr lesenswerten Beitrag: Ich habe noch einige Begriffe gelernt, die mir bislang noch gar nicht untergekommen sind – wüsste aber immer noch nicht so recht, wo ich mich da jetzt einordnen sollte. Allerdings habe ich bislang auch gar kein Bedürfnis verspürt, das enger einzugrenzen oder genau zu definieren. Bislang habe ich mich auf jedem Event, auf dem ich war, willkommen gefühlt, selbst durch Leute, die offenkundig an unserer bunten Welt andere Facetten lieber gemocht haben.

Daher ist es selbstverständlich, dass ich bestmöglich versuche, die anderen Anwesenden ebenso tolerant zu behandeln und ihre Ansichten zu respektieren – ob DDLG, CG/Lre usw. spielt für mich also fast keine Rolle. Ich muss aber einräumen, dass ich mir schwer damit tue, wenn es um das Thema Offenheit geht. Für mich ist das ganze Thema etwas sehr privates, das auf geschützte Räume beschränkt bleiben sollte und fühle ich mich schnell bei einem Stammtisch unwohl, bei dem die Diskretion nicht gewahrt bleibt.

Beispielsweise gab es einen Stammtisch, bei dem eine Person immer just wenn die junge hübsche Kellnerin an den Tisch kam, sehr laut Fragen zum Thema Windeln in die Runde gestellt hat. Meine Bitte, das zukünftig zu unterlassen, hat leider nicht gefruchtet, sodass nach dem zweiten oder dritten Mal nur noch die resolute Seniorchefin zu uns kam und die junge Frau andere Tische übernommen hat. Mir war das peinlich und ich habe mich auch etwas fremdgeschämt.

Für mich persönlich wäre also die Frage, wie offen damit in der Öffentlichkeit umgegangen wird wichtiger als die Frage, ob das nun für jemand beispielsweise eher ein Spiel oder eine richtige Lebensauffassung ist.

Soweit ich weiß hat dafür noch keiner eine Abkürzung erfunden: Also wie wäre es mit stealthy und blatant als Präfix? Beispielsweise blDDLG oder stCG/L... ;-)

Quatsch! Das war natürlich kein ernst gemeinter Vorschlag, ich will diesem Kuddelmuddel an Begriffen nun wirklich nicht noch weitere angedeihen lassen. Dennoch glaube ich, dass man aus dem Beispiel etwas Grundsätzliches über das Begriffschaos ableiten kann: Es geht letztlich immer um Zusammengehörigkeitsgefühl und Gruppenidentität.

Wenn Chichibi also schreibt, dass „mehr Begriffe und mehr Abgrenzung […] Angst, das Gefühl nicht verstanden zu werden, Vorurteile und Intoleranz [fördern]“ ist das nur eine Seite der Medaille. Für jemanden, der nun feststellt, dass der Begriff XY genau die innersten Sehnsüchte beschreibt, kann die Abgrenzung auch einen ermutigenden und integrierenden Charakter haben.

Wir Menschen sind einfach soziale Wesen und lieben es, uns in Gruppen zusammenzuschließen und schätzen das Gefühl einer Gruppe zugehörig zu sein – in dem Fall eben mit der Gruppe zum Begriff XY. Auch wenn das erst mal nur ein selbsterklärter Beitritt ist, dann gibt einem das Etikett XY auch den Anschluss an eine Gruppe von Menschen, die ähnlich empfindet und denkt wie man selbst.
Stellt man nun fest, dass es innerhalb der Gruppe Praktiken/Ansichten/Menschen akzeptiert sind, die einen selbst abstoßen, dann kann das auch eine Entfremdung mit der Gruppe bewirken. Sofern ein enger Gruppenzusammenhalt gewünscht oder notwendig ist, kommt es dann zur Gründung von Untergruppen oder zur vollständigen Abspaltung. Man kann das – ganz vanilla – wunderbar bei der Gründung von politischen Parteien nachverfolgen (Piratenpartei, AFD).

Innerhalb der Szene gäbe es eigentlich keine Notwendigkeit zur akribischen Differenzierung, denn ob man nun beispielsweise ein sexuelles oder non-sexuelles Little ist, hat ja eigentlich nur für einen selbst und den Partner wirklich Relevanz. Aber ich denke, das hat einfach mit Social Media zu tun, wo das Konzept der Hashtags und damit der Kategorisierung wichtig ist, um neue Kontakte zu knüpfen und ggfs. auch Reichweite aufzubauen.

Mein persönliches Fazit: Das Bedürfnis nach Identität, Gruppenzugehörigkeit und damit auch nach Abgrenzung ist menschlich. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass diese Begriffe geprägt wurden und sich Menschen damit identifizieren – sofern man trotzdem noch über den Tellerrand schauen und andere Gruppen tolerieren kann, habe ich damit auch kein Problem - außer, dass ich leicht durcheinander komme. Deshalb Danke an Chichibi, dass sie sich die Mühe gemacht hat, das Chaos etwas zu strukturieren!
Zuletzt geändert von Thias am 10.01.2020, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Neuer Blogpost bei Kink mir Herz: Wie viel Abgrenzung ist sinnvoll?

von FranzW » 10.01.2020

Ich kann mit den Thesen bzw. dem Spin dieses Beitrages nicht viel anfangen. Zugespitzt gesagt, wirkt er auf mich fast so, als wollte die CGL-Community hier Ageplayer und Littles für sich vereinnahmen.

In meinen Augen führen nicht die Begrifflichkeiten zu Abgrenzungen. In meinen Augen sind Abgrenzungen überhaupt der falsche Begriff, denn eigentlich geht es um keine Grenzen, die nur schwer zu überwinden wären, sondern darum, was im Fokus steht. Bei einem Windelfetischisten stehen ganz klar die Windeln im Vordergrund, bei einem Adult Baby oder Little steht die Regression im Vordergrund, die Windeln sind da vielleicht ein Teil von vielen. Ein Adult Baby kann auch für sich alleine ein Adult Baby sein, ein Little ist Teil einer Paar-Beziehung, oder möchte es zumindest sein.

Sprache ist nun ein Werkzeug, um sich bewusstzumachen, was man im Fokus hat. Dies ist besonders nützlich, seit es das Internet, das Web und Suchmaschinen gibt. Damit ist es nun nämlich möglich, zielgerichtet Pornografie, Foren oder Veranstaltungen zu finden.

Bei Pornografie ist das noch relativ einfach: Hier ist allgemein klar, dass jeder Mensch seine eigene Erregungsmuster hat und daher auf der Suche nach Medien ist, die genau diese Erregungsmuster enthalten. Kaum jemand würde sich beklagen, man würde Frauen diskriminieren, wenn man nur schwule Pornografie konsumiert.

Bei einem Forum ist das etwas komplizierter, weil hier mehr soziale Interaktion stattfindet. Trotzdem wird ein Forum, in dem hauptsächlich über den Füllstand der eigenen Windel berichtet wird, wenig Begeisterung bei Littles finden, für die Windeln nur ein kleiner Teil des Lifestyles sind. Aber auch das ist nicht tragisch, denn ein Forum, in dem über den Windelfüllstand diskutiert wird und ein Forum, in dem Regression als Lifestyle besprochen wird, können friedlich koexistieren.

Schwieriger wird es jedoch bei Veranstaltungen. Hier möchte ich drei verschiedene Veranstaltungen betrachten.

1. Der Stammtisch

Auch beim Stammtisch gibt es die unterschiedlichen Fokusierungen. Ich war schon am BDSM-Stammtisch, am ABDL-Stammtisch, am Furry-Stammtisch, am Puppy-Stammtisch, am Petplay-Stammtisch und auf einem Poker-Spieleabend, der aus irgendeinem Grund auf Fetlife organisiert wurde, war ich auch schon. Auf jedem dieser Stammtische habe ich tolle, aufgeschlossene Menschen kennengelernt, mit denen man sich über alles mögliche unterhalten kann, aber eben auch vom eigenen Fetisch erzählen kann, ohne Angst haben zu müssen, dafür abgewertet zu werden.

Auf einem der letzten Grazer ABDL-Stammtischen hatten wir sogar nach dem offiziellen Stammtisch ein kleines Cross-Over mit dem SM-Stammtisch der jungen Generation (also der 18 - 25-jährigen). Dazu haben sich interessierte Teilnehmer*innen beider Stammtische zusammengesetzt und den Stammtisch fortgeführt.
Aber auch auf Puppy- und Furry-Stammtischen lernt man immer wieder Leute kennen, die auch manchmal Windeln tragen, bei denen aber eben das Puppy-Play bzw. die Fursonia im Fokus stehen.

Leider gibt es auf Stammtischen aber hin und wieder auch Konflikte: Etwa wenn jemand öffentlich einen Schnuller in den Mund nimmt, oder eine Windel am Tisch genauestens begutachtet wird, kann es passieren, dass sich andere Teilnehmer*innen genieren. Hier muss man sich bewusst machen, dass Benimmregeln nicht fix sind, sondern in der Gruppe ausverhandelt werden müssen.

2. Die Party im Club

Hier gibt es meines Erachtens folgende Kriterien: Eintrittspreis, Geschlechterbeschränkung, Aufwand für kindliche Gestaltung.

Der Eintrittspreis bestimmt, wer sich den Eintritt leisten kann, ist er zu hoch angesetzt, werden Leute ausgeschlossen, die ihn sich nicht leisten können. Sollte die Preisgestaltung abhängig vom Geschlecht sein, könnte es passieren, dass sich angehörige des teurer bepreisten Geschlechtes weniger willkommen fühlen.

Manche Parties finden in Schwulenclubs statt und sind daher auf Männer beschränkt. Neben Frauen, die hier tatsächlich ausgeschlossen werden, schreckt dies aber auch Männer ab, die entweder in einer Partnerschaft mit einer Frau leben oder die mit einer Clique unterwegs sind, in der auch Frauen sind. Aber ich habe auch schon von einem schwulen Freund die Befürchtung gehört, eine ABDL-Party, auf der nur Männer zugelassen sind, könnte kippen.

Das dritte Kriterium ist der Aufwand für kindlische Gestaltung: Damit ist gemeint, einfach eine Liege zum Wickeltisch umzufunktionieren geht leicht, ebenso Windeln zum Verkauf anzubieten. Das spricht dann aber vor allem Menschen an, bei denen die Windeln im Fokus stehen. Für Littles sollte es da schon ein bisschen mehr sein: Etwa ein Bällebad, eine Kuschelecke, ein Kinderkino, eine Malecke, oder auch eine Hüpfburg.

3. Die ABDL-Freizeit

Die aufwendigsten Veranstaltungen sind sicher die ABDL-Freizeiten. Großen Respekt vor allen, die eine solche organisieren!

Hier verbringen vollkommen unterschiedliche Menschen miteinander ihre Freizeit, gleich mehrere Tage am Stück. Das ist meistens sehr schön, kann aber auch gruppendynamisch zur Herausforderung werden.

Dass es hier zu Ausgrenzungen kommen kann, liegt an der Natur der Menschen. Das Problem liegt hier aber immer an den unterschiedlichen Erwartungen und dem unterschiedlichen Benehmen der Teilnehmer*innen. Dass hier unterschiedliche Begrifflichkeiten das Hauptproblem wären, glaube ich nicht.

Ich hoffe, ich konnte meine SIchtweise einigermaßen verständlich darlegen.

Liebe Grüße aus Niederösterreich!
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Re: Neuer Blogpost bei Kink mir Herz: Wie viel Abgrenzung ist sinnvoll?

von baerschen » 14.01.2020

Huhu,

ich habe den Artikel sehr interessiert gelesen, denn das Thema ist mir selber echt wichtig. Ein Grund ist, dass ich mich mehreren dieser Kategorien mehr oder weniger zugehörig fühle und teilweise ein wenig „zwischen den Stühlen“ stehe. Ich erwische mich schon mal dabei, dass ich zu einem Thema gerne etwas sagen möchte, aber es nicht tue, weil ich den Eindruck habe, dass meine Ansichten nicht zu den anderen passen und Kontroversen auslösen könnten.

Natürlich ist das nicht gut, denn ohne die Benennung anderer Positionen wird man nichts zum Aufplatzen von Blasen beitragen. Dennoch fällt mir das eben schwer.

Der Aufruf zu Toleranz ist mir ganz klar ein wichtiges Anliegen. Wobei ich da noch ein wenig weiter gehen und zum Versuch aufrufen würde, sich einer wahren Akzeptanz anderer Sichtweisen und Positionen anzunähern. „Leben und leben lassen“ ist gut, aber um wirklich Mauern abzubauen, ist es noch besser, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich auf die andere Seite wirklich einzulassen.

Persönlich habe ich das zum Beispiel bei Gesprächen über BDSM-Aspekte unserer Leidenschaft erleben dürfen, die mir anfangs gar nicht recht verständlich waren. Ebenso in Gesprächen mit Puppy- und Horse-Playern. Es war für mich erstaunlich, wie viele Parallelen zum Ageplay sich auftaten.

Es gibt für mich zwar immer noch Aspekte meiner eigenen Ageplay-Persönlichkeit, über die ich nur schwer sprechen kann, z.B. meine Neigung zu Omorashi, die für mich eine klare und Bindung zum Ageplay hat, aber sicher für manche kaum verständlich ist oder ein DL-Anteil meiner Leidenschaften. Völlig banale Dinge eigentlich. Hilft nur:

Knoten ins Taschentuch machen, dass man diese Dinge auch mal ansprechen sollte, auch ohne die Erwartung, dass man Jubel erntet. Aber immer mit Respekt und Einfühlungsvermögen.

Lg Micha
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Re: Neuer Blogpost bei Kink mir Herz: Wie viel Abgrenzung ist sinnvoll?

von Lorr » 15.01.2020

Ich halte die Abgrenzung in einzelne Subgruppen für nicht sehr hilfreich. Verständlich finde ich noch die Abgrenzung ob man caregiver oder little ist, weil das für die Interaktion miteinander ja schon sehr wichtig ist. Alle anderen Spezialitäten grenzen ja schließlich einzelne Gruppen aus. Man bekommt bei dieser Vielfalt den Eindruck als ob die "Szene" riesig sei.

Das halte ich für einen Irrglauben. Tatsächlich sind in diesem Land nur einige tausend Menschen von diesem Kink "betroffen". Also sprechen wir wenn man den Anteil in der Bevölkerung sieht höchstens von einem Promille an Personen mit Neigungen aus ähnlichen Bereichen.

Wenn nun bei der Suche nach dem wahren Ich schon im Vorfeld eine Abgrenzung in eine Subgruppe erfolgt, fällt vermutlich die Suche nach realen Kontakten viel schwerer.

Die Chance einer Facebook Gruppe mit zehn Teilnehmern einen guten Freund oder eine gute Freundin zu finden ist eben nunmal gering. Zudem hat man sich selbst dadurch schon von anderen Facetten des Ageplays(wohlwissend, dass dieser Begriff auch bereits eine Abgrenzung ist) abgegrenzt.
Für mich kann ich sagen, dass dieser Selbstfindungsprozess eine lebenslange Aufgabe ist. Daher suche ich nicht nach Schubladen in die ist schlüpfen möchte.

Daher denke ich, dass die zusätzlichen Abkürzungen, die in der Anzahl und Komplexität ständig zunehmen, zu einer Zersplitterung einer zwar heterogenen doch in grundsätzlich ähnlichen Interessen verbundenen Gruppe führen können.

Grundsätzlich finde ich es auffallend, dass sich "früher" in den einzelnen communitys deutlich mehr abgespielt hat als heute. Wo sind diese Menschen heute? sind sie in kleineren Gruppen und unterhalten sich über ihre speziellen Vorlieben oder sind es einfach weniger geworden? Haben sie sich selbst vorsortiert? Und wenn ja ist das denn gut im Hinblick auf den Wunsch nach einer offenen Gesellschaft?

Ich kann mich noch gut an eine Zeit erinnern wo die Stammtische gleichermaßen aus DLs und ABs bestanden. Sonst gab es auch nichts :-) . Trotzdem traue ich mich zu sagen, dass die Menschen die gleichen gewesen sind. Vielleicht hat sogar eine fehlende Vorsortierung zur Folge, dass sich Menschen anders entwickelten nachdem sie Freunde aus einem gewissen Bereich kennengelernt haben.

Mein Rat an alle die nach der Suche auf sich selbst sind ist daher: nicht vorschnell nach einer Identität suchen ohne andere Sichtweisen kennengelernt zu haben. Und schon gar nicht sich irgendeiner Abkürzung zughörig fühlen ohne vorher den Blick geweitet zu haben.
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Re: Neuer Blogpost bei Kink mir Herz: Wie viel Abgrenzung ist sinnvoll?

von ByeBye » 17.01.2020

Ich frage mich ja immer, welche Funktion diese Begriffe erfüllen. Offensichtlich haben sie eine. Sonst würden sie nicht verwendet. Worum geht es also? Um es vorwegzunehmen: Sinnvoll finde ich diese Differenzierungen selten. Aber ich habe auch einen romantischen Begriff von Erfahrung, von der ich gar nicht so sicher bin, ob es sie gibt; Erfahrung, die nicht schon vorgängig fixiert ist.

Ich teile es also tendenziell, wenn der Ursprugnsartikel schreibt: "Begriffe werden mit der Zeit noch detaillierter, jeder möchte von einem einzigen Wort genau beschrieben werden. Mehr Begriffe und mehr Abgrenzung fördern Angst, das Gefühl nicht verstanden zu werden, Vorurteile und Intoleranz." Genau diesem seltsamen Widerspruch zwischen Freiheitsversprechen, Individualität und Einschränkung von Erfahrungsmöglichkeiten möchte ich weiter unten mit ein paar, ziemlich wilden Vermutungen nachgehen.

Ich fand den verlinkten Ursprungsartikel interessant, finde aber Aussagen wie "Littles sind so individuell, wie die Menschen selbst. Jeder lebt es auf seine Weise aus" zu banal. Geht es um Beziehungsdynamiken, Begehren und überhaupt Wollen gilt doch immer: Dieses entsteht nicht im stillen Kämmerlein, sondern wird immer auch innerhalb komplexer gesellschaftlicher, ökonomischer und kultureller Prozesse ausgebildet. Das heißt nicht, dass es nicht trotzdem individuell ist. Nur mein Wollen ist halt nie nur mein Wollen.

Ich habe einen bunten Strauß an Vermutungen mitgebracht:

* Zum Anfang ganz wilde Vermutungen: Mich würde die Geschichte dieser Abkürungsbeschreibungen sehr interessieren. Ich hatte mal vor zig Jahren eine Seite gelesen, die auf die Geschichte von AB/DL eingegangen war (irgendwo, englischsprachig), leider finde ich sie nicht mehr. Wenn ich mich recht erinnere, stammen diese Zweibuchstabenabkürzungen aus der Fetischliteratur, beginnend etwa in den 70er und dienten als eine Art Navigationshilfe, um das gebotene Material schnell mit den eigenen Vorlieben abgleichen zu können, irgendwann (bei WetSet?) tauchte dann AB/DL auf. Am Anfang sind diese Abkürzungen also so etwas wie die Schilder im Supermarkt gewesen, die zeigen, wo die gesuchte Ware steht. Mir scheint heute, dass viele dieser Abkürzungen auch dazu dienen, spezialisiertes Nischen-Publikum mit seinem Material zu erreichen (etwa auf Tumblr, was bis zu einer Gesetzesänderung eine ziemlich beliebte Plattform war für spezialisierte Sexworker; die Abkürzungen erlaubten dann als Hashtag ein leichteres Auffinden); wenn man so will, ist diese Kategorie in einer Hinsicht also eine Art Kommodifizierungseffekt, der auf Sexualität wirkt: Um etwas als Ware anbieten zu können, muss ich es bewerben, benennen und vergleichbar zugänglich machen.
** Das gilt nicht nur für Sexworker, sondern auch für das krass ausdifferenzierte Warenangebot, das den glücklichen Perversen heute begegnet (ich mein, allein Windeln: bunte Windeln, Prinzessinenwindeln, Widneln mit infantilen Symbolen, Jeanswindeln, schwarze BDSM-Windeln, Inkowindeln, High-Tech-Produkte, Stoffwindeln, Stoff-Pullups,...).

* Unterscheidet sich die Abkürzungsexplosion eigentlich so sehr von der Explosion an Biersorten? Von IPA, APA, DIPA ist es gar nicht so weit zu AB/DL, DD/LG, CG/LG (...): In der Soziologie ist es Sport, sich einen Namen damit zu machen, die heiße Gegenwartsdiagnose zu liefern. Das geht nur mit viel heißer Luft. Vor zwei Jahren erschien Reckwitz "Gesellschaft der Singularitäten". Jetzt mal sehr grob und soweit hier systematisch interessant: Er geht davon aus, dass sich die Gegenwartsgesellschaft fundamental von der vorhergehend dominanten verallgemeinernden Moderne unterscheidet und zwar darin, dass sie auf Besonderung setzt. Ausgang sind Phänomene wie z.B. die Beliebtheit von Craft-Beer, aber auch spannendere Fragen wie die, dass es eine eine Art alte Mittelschicht gibt (Facharbeiter, Leute, die Routineaufgaben sehr gut machen und früher dafür gut entlohnt werden; die Aufgaben werden heute immer noch von Menschen gemacht, nur als minderwertig angesehen und schlechter bezahlt) und eine neue (Freelancer, Kulturarbeiter), die wahnsinnig viel Energie in kulturelle Aufwertungs- oder Besonderungspraktiken steckt. Besonderung heißt bei ihm ein kultureller Prozess, der etwas als besonderes auszeichnet und darin aufwertet und zugleich anderes abwertet. Es muss das spezialisierte Kuchengeschäft sein, bei dem Heinz und Justin am Ofen stehen, etwas backen, dass es nur in dieser Straße gibt und nicht die Torte vom Bäcker nebenan. Was ich daran hier interessant finde: Die Explosion dieser Abkürzungen ließe sich vielleicht auch als Element dieser Besonderungsdynamik verstehen. Das ist jetzt grob, aber hier mal meine These: Weil Vanilla-Sexualität in den urbanen Mittelschichtsmilieus tendenziell weniger interessant ist, gibt es eine große Aufmerksamkeit und Bereitschaft, seine Sexualität oder Beziehungsdynamik zu ver-besondern oder als solche darzustellen; statt also etwas eine gar nicht so untypische heteronormative Zweierbeziehung zu nennen (manche Interpretationen von DD/LG) ist es DD/LG und damit etwas ganz Besonders (erinnert sich noch wer daran, dass vor ein paar Jahren BDSM plötzlich gesellschaftsfähig wurde?). Mir geht es nicht darum, zu sagen, dass DD/LG falsch ist oder so, sondern hier nur die kulturellen Prozesse als Aufwertungsdynamiken parallel zu anderen Gegenwartsdynamiken beschreiben.

* Ein globalisierter Datingmarkt braucht seine Komplexitätsreduktion: Ich kann nicht alle Menschen der Welt kennenlernen. So ähnlich wie auch Glutenunverträglichkeit, Vegetarismus oder andere Ernährungstrends helfen (ohne sie darauf reduzieren zu wollen), mit der Komplexität eines ausdifferenzierten Konsumangebots umzugehen (als Vegetarier würde ich es nie leugnen, dass es mir auch etwas abnimmt, im Restaurant manches nicht auswählen zu können), so ähnlich funktionieren auch die Abkürzungslogik. Ich kann damit potentielle Partner oder Konsumangebote vorsortieren, weil ich mich sonst ewig durch Scheiß klicken muss, bis ich z.B. die passende Geschichte zu meinem Kopfkino finde. Das hat dann selbstverstärkende Effekte, wenn ich auf sozialen Werbeplattformen mir meine eigene Blase schaffe, in die nur kommt, was ich vorher als potentiell interessant markiert habe (auch wenn Informatiker uns was anderes erzählen wollen, haben wir alle gemerkt dass selbst die ausgeklügelten Amazon-Algorithmen nicht wirklich wissen, was ich kaufen will, sondern nur in bestimmten Grenzen interpretierend fortschreiben, was ich und andere, die ein ähnliches Klickverhalten wie ich haben, zuvor angeklickt habe; das heißt nicht, dass nicht oft genug die Empfehlungen trotzdem passen, mir ging's nur um den selbstverstärkenden Effekt)

* Die Abkürzungen sind Ausdruck der gegenwärtigen identitätspolitischen Konjunktur: Begehren hat immer etwas Unverfügbares. Wohl jede_r kennt die Erfahrung aus der eigenen Pubertät, auf einmal mit Träumen und Wünschen konfrontiert zu sein, die von Nirgendwo zu kommen scheinen. Aber auch als Mensch, der sein Begehren zu kennen meint, erfahre ich, dass ich nicht beliebig über es verfügen kann. Ich kann nicht wollen, was ich begehre. Das hat etwas bedrohliches. Die Umgangsweise in der Gegenwart damit ist, Begehren identitätstheoretisch zu überformen. Statt es also moralisch zu regulieren, wie es noch vor 50 Jahren üblich war, gilt heute: "Entdecke, was Du wirklich, eigentlich, willst." Die vielen Abkürzungen sind, in einer Hinsicht, Versuche Begehren zu kategorisieren und identitär verdinglichen. Statt dass Begehren fließt, sich verändert, neue Perversionen sich einen Weg suchen (und damit die bedrohliche Erfahrung zuzulassen, etwas begehren zu müssen, was man nicht willkürlich beherrscht), wird Begehren in die Form gebracht: "Ich bin eine Person, die X mag."; damit wird ein Wahrheitskriterum für Begehren etabliert; ich kann zwar nicht mehr moralisch falsch begehren, aber mich um mögliches Glück betrügen, wenn ich nicht so begehre, wie ich eigentlich bin
** Um's noch einmal klar zu sagen: Das heißt übrigens nicht, dass das falsch ist. Identitätspolitik schafft auch Sichtbarkeit. Als mein Begehren entdecke, war für mich interessantes Material (mit wenigen Ausnahmen) nur an ziemlich zwielichtigen Ecken des Internets zu entdecken; als 14-Jähriger hätte ich mir die heutige Vielfalt, die zudem leicht zu finden ist, sehr gewünscht. Ich denke nur, dass wenn zu sehr oder allein auf dieser Verknüpfung Identität-Freiheit bestanden wird, übersieht man, was dabei verloren geht, dass das *ein Mittel ist*, um etwas zu finden, das mich jetzt interssiert und nicht die Wahrheit über einen selbst
** Diese Perspektive wird dadurch plausibilisiert, dass viele dieser Abkürzungen auf Tumblr und ähnlichen Seiten entstehen, wo sich schnell Mikrocommunitys bilden und Leute, die Erfahrung haben mit identitätspolitischen Begriffen, sie umwandeln und aneignen
** Das treibt mitunter krasse Blüten: https://www.independent.co.uk/news/worl ... 69051.html, vor allem aber: https://www.dailywire.com/news/trans-ag ... stigiacomo

* Woanders hatte ich schon über das Missverständnis souveräner Sexualität geschrieben und glaube wirklich, dass das auch ein Element dieser Abkürzungssache ist (ist ja auch recht ähnlich zum Problem der Identitätspolitik): viewtopic.php?f=24&t=1722&p=18515&hilit ... A4t#p18515

Keine Ahnung, wie zugänglich das jetzt ist. Ich bin übermüdet, aber ich werf's mal in die Welt.
Ich find, ganz persönlich, diese ganze Abkürzerei und Spezialisierung frustrierend.
Vielleicht sind all die Überlegungen oben unnötig und es ist alles ganz einfach: Da sind halt Jugendliche, die die Begriffe erfinden.
Die hatten immer schon ihre Geheimsprachen.

Aber vielleicht ist das auch nur die Perspektive als Fast-Mittelalter-Mann.


Übrigens, einen spannenden Ansatz, um statt über Abkürzungen zu (sehr? zu) differenzieren, fand ich eine aufgeklärte psychoanalytische Perspektive, wie man sie zum Beispiel hier findet: https://portal.dnb.de/opac.htm?method=s ... osition=14. Sie unterscheidet zum Beispel (wenn ich mich grad recht erinnere) zwischen unterschiedlichen Erotiken wie "Haut- und Blickerotik" oder "Urethralerotik" (etwa Lustgewinn durch Urinieren) in einer klugen, nicht-normativ entwicklungspsychologischen Interpretation der Freud'schen Phasentheorie, da geht's dann um Spannungszustände und sowas. Wie immer bei psychoanalytischen Texten habe ich das Gefühl, nur die Hälfte verstanden zu haben, aber ich fand's eine sehr aufschlussreiche Perspektive, weil sie ein ganz anderes Vokabular bereit stellt als die Abkürzerei. Um eben darüber zu sprechen, was mir Lust macht, gerade, seit ein paar Wochen oder in bestimmten Situationen.
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Re: Neuer Blogpost bei Kink mir Herz: Wie viel Abgrenzung ist sinnvoll?

von babydennis » 07.06.2020

Als ich vor ca. 20 Jahren das Interesse gefunden habe, gab es die ganzen Bezeichnungen noch gar nicht. Es gab Teenbaby, Adult Baby und Adult Child. Dabei gab es noch viel untergropierungen. Ein Little ist vergleichbar wie mit einem Adult Baby. Der Unterschiede ist: Littles wollen nicht wie ein Baby behandelt werden, es ist eher mit einem Adult Child zur Vergleichen. Das Little spielt die Rolle nicht, sondern ist in wirklich ein Kind. Das trifft auch auf mich zu und bin Adult Baby. Es ist schon sehr schwirig neue Bezeichnungen in die Szene zu bringen. Wer gibt den eigentlich vor, wie sich eine Adult Baby oder Little zur Verhalten hat und was erlaub und verboten ist? Im Grunde genommen sind Littles doch eher Adult Babys oder Adult Childes.

Ich kenne leider keine Littles persönlich, wo ich jetzt sagen kann, Littles nehmen sich wirklich dauerhaft wie ein Kind. Dann gehört es auch dazu nicht zur Arbeit zu gehen und nur kindliche Dinge macht die Altersgerecht sind. Ich kann ganz gut in die Rolle eines Babys / Kleinkindes schlüpfen. Mit der Zeit steigere ich mich rein, wenn der Daddy oder Mami es zu lässt. Das Peter-Pan-Syndrom (Buch) beschreibt auch eine Person, die nie erwachsen wird. Little hört sich natürlich kindlicher an.

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Re: Neuer Blogpost bei Kink mir Herz: Wie viel Abgrenzung ist sinnvoll?

von FranzW » 07.06.2020

Ich würde die unterschiedlichen Begriffe jetzt nicht rein nach Bedeutung (Denotation) differenzieren, sondern auch nach ihrer Konnotation. Diese Begriffe sagen nämlich wesentlich mehr über die Zusammenhang aus, als über den Sachverhalt. Wenn jemand sagt, er*sie sei ein "Little", dann ist das die Aussage des Kindes. Wenn jemand sagt, er*sie sei ein "Adult Baby" oder "Age Player", dann ist da schon viel mehr Distanzierung dabei, dann sagt diese Person, soetwas, wie im Moment bin ich erwachsen, aber ich kann auch zum Baby werden oder ein anderes Alter spielen. Früher haben sich Ageplayer auch oft als Infantilisten (damals gab es noch keinen Genderstern) bezeichnet. Das ist dann nocheinmal eine andere Sprachebene, nämlich eine intellektuelle, wissenschaftliche. In Wikipedia steht Autonepiophilie, hat den Begriff schon jemals jemand im echten Leben verwendet? Der wäre dann wohl hoch wissenschaftlich.

Wenn man wissen möchte, wie lange die Rollenspiele dauern, dann sollte man danach fragen. 24/7 wäre die Antwort von jemanden, der*die die ganze Zeit in dieser Rolle lebt. Wobei das jetzt nicht notwendigerweise heißt, dass die Person dann die ganze Zeit Windeln trägt, sich in die Hose macht, oder weg von der normalen Erwachsenenwelt lebt. Viele, die sich als 24/7 bezeichnen, meinen damit einfach, dass sie bei passender Gelegenheit herumalbern oder in Beziehung mit einer bestimmten Person sich immer in der Rolle des Kindes verhalten.

Liebe Grüße aus Niederösterreich!


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