FAQ Babypuder

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Thias
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FAQ Babypuder

von Thias » 19.01.2020

Weil auf Fetlife gerade in einer Gruppe das Thema aufgekommen ist, habe ich gedacht ich schreibe mal eine kleine Zusammenfassung zum Thema Babypuder und möglicher Gesundheitsgefahren:

Aus was besteht Babypuder?

Klassischerweise besteht Baby Puder aus dem Mineral Talk, chemisch ein Magnesium-Silizium-Salz mit Wasseranteilen (Magnesiumsilikathydrat). Talk dient im übrigen auch als Grundlage für andere kosmetische Puder und ist in Rouge oder Kajalstiften enthalten - der standardisierte Name in der Liste der Inhaltsstoffe lautet TALC. Im Zuge der Berichte über mögliche Gesundheitsgefahren und dem Verbraucherwunsch auf Talk zu verzichten, sind auch Puder auf den Markt gebracht worden, die Stärke (DISTARCH PHOSPHATE) oder Kalk (CALCIUM CARBONATE) enthalten. Funktionell sind die Puder identisch [5].

Was ist die Funktion Babypuder?

Babypuder wird im Windelbereich wegen seiner feuchtigkeitsbindenden Eigenschaften eingesetzt. Ist die Haut über einen längeren Zeitraum feucht, verliert sie einen Teil ihrer Barrierefunktion. Irritative Stoffe und Mikroorganismen können in tiefere Hautschichten eindringen und es kann Entzündungen und Ausschlägen im Intimbereich kommen. Außerdem wird Reibung reduziert, wenn kleine Kinder in ihren Windeln herumrutschen [5]. Sonstige hautpflegende Eigenschaften hat Babypuder keine - bei modernen Einwegwindeln mit Superabsorber besteht daher keine Notwendigkeit für Babypuder. Nur Liebhaber von Stoffwindeln könnten davon profitieren.

Wie ist das jetzt mit den Gesundheitsgefahren?

Chemisch gesehen gilt Talk nach derzeitigem Wissenstand als ungiftig. Im Zusammenhang mit Babypuder wird aber über folgende Gefahren berichtet:
  • Versehentliches Einatmen größerer Mengen Puders mit Erstickungsgefahr. Da feuchtes Babypuder aufquillt, kann das Einatmen von großen Mengen Puder die Atemwege blockieren und so zum Erstickungstod führen. Dies ist für Babys, die nach der auf dem Wickeltisch stehenden Puderflasche greifen und sie ggfs. in den Mund nehmen eine reale Gefahr - entsprechende Einzelfälle sind dokumentiert [4]. Für eure Littles sollte das aber keine Bedrohung darstellen.
  • Das Einatmen von Stäuben über einen längeren Zeitraum und in großer Menge kann sogenannte Pneumokoniosen verursachen - krankhafte Veränderungen des Lungengewebes, die zur Versteifung der Lunge führen und die Atmung erschweren. Dabei handelt es sich jedoch um Berufskrankheiten, die z.B. bei Bergleuten oder Industriearbeitern nach jahrzehntelanger, täglicher Exposition in großen Mengen auftreten. Für manche Stäube (wie Asbest) gelten sehr strenge Grenzwerte, weil Größe und Oberfläche der Partikel so beschaffen sind, dass sie leicht zu krankhaften Veränderungen der Lunge führen können. In der EU für Kosmetika verwendeter Talk muss bestimmte Anforderungen erfüllen - Größe, Form und auch die Reinheit müssen kontrolliert werden, sodass Pneumokoniosen durch das Einatmen von talkhaltigem Babypuder ausgeschlossen sind [1-3].
  • Krebsgefahr: Es gibt Hinweise darauf, dass die langfristige (wiederum mehrere Jahrzehnte andauernde) perineale Anwendung von Körperpuder auf Talkbasis bei Frauen das Risiko für Eierstockkrebs erhöht und daher möglicherweise für den Menschen krebserregend ist (IARC-Gruppe 2B). Als möglicher Mechanismus dafür gilt die Migration von Partikeln des Puders bis in die Eierstöcke, der jedoch in einer Studie mit eingefärbtem Puder nicht nachgewiesen konnte. Inwiefern eine frühere Verunreinigung des Talk mit Asbest, die in den 1970er und 1980er Jahren noch nicht routinemäßig geprüft wurde, dafür eine Rolle spielte, ist umstritten und war Gegenstand eines Verfahrens gegen Johnson&Johnson in den USA. Zusammenfassend kann man sagen: Eine hohe Krebsgefahr geht von Talk definitiv nicht aus, gelegentliche Anwendung sollte also unbedenklich sein. Wenn, dann sollte ganz auf Puder verzichtet werden [1-3].
Was sind die Quellen für diese Zusammenfassung?
  1. Cosmetic Ingredient Review: Safety Assessment of Talc as Used in Cosmetics
  2. IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans: Carbon Black, Titanium Dioxide, and Talc
  3. Fiume et al: Safety Assessment of Talc as Used in Cosmetics
  4. Silver et al: Respiratory failure from corn starch aspiration: A hazard of diaper changing
  5. Leyden: Corn Starch, Candida albicans, and Diaper Rash
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Re: FAQ Babypuder

von Jona Windeltiger » 19.01.2020

Wow. Danke!
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Re: FAQ Babypuder

von robino » 22.01.2020

Vielen Dank für diesen Beitrag, sehr informativ!
Zusammenfassend kann man sagen: Eine hohe Krebsgefahr geht von Talk definitiv nicht aus, gelegentliche Anwendung sollte also unbedenklich sein. Wenn, dann sollte ganz auf Puder verzichtet werden.
Die Schlussfolgerung verstehe ich noch nicht ganz: Auf Talk sollte bei Angst vor Krebs ggf. verzichtet werden, aber in stärkebasierten Pudern wurde noch kein Asbest (oder etwas anderes schlimmes) nachgewiesen, oder? Woher kommt also die Folgerung, dann lieber ganz auf Puder zu verzichten?

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Re: FAQ Babypuder

von Thias » 23.01.2020

Die Schlussfolgerung verstehe ich noch nicht ganz: Auf Talk sollte bei Angst vor Krebs ggf. verzichtet werden, aber in stärkebasierten Pudern wurde noch kein Asbest (oder etwas anderes schlimmes) nachgewiesen, oder? Woher kommt also die Folgerung, dann lieber ganz auf Puder zu verzichten?
Ja, das habe ich schlecht beschrieben. Deshalb als Ergänzung zu oben:

Wie kommt der Asbest ins Talkumpuder?

Wie Talk gehört Asbest zu den Silikat-Mineralen und beide können im Gestein natürlich nebeneinander vorkommen. Baut man nun Talk ab und zerstäubt es zu Pulver, sind bei unzureichender Kontrolle Verunreinigungen mit Asbest denkbar. Genau das ist Gegenstand des Verfahrens gegen Johnson & Johnson: Die Klägerinnen, 22 an Eierstockkrebs erkrankte Frauen im Alter 60 - 80, die jahrzehntelang Babypuder zur Intimpflege eingesetzt hatten, werfen dem Konzern, vor durch unzureichende Kontrollen an ihrer Krebserkrankung schuld zu sein. Ein Nachweis, dass die damaligen Chargen wirklich belastet waren, konnte meines Wissens vor Gericht nicht erbracht werden. Es reichte aus, dass dem Konzern das Risiko einer Asbest-Kontamination bekannt war (wofür wie gesagt ein Blick ins Anorganik-Chemiebuch reicht). Da die Firma trotz dieses Wissens die Verbraucher nicht vor ihrem Produkt gewarnt hat, wurde sie erstinstanzlich zu einer Entschädigungszahlung von 4 Milliarden Dollar verurteilt.

Wieso ist Asbest so gefährlich?

Asbest wurde Jahrzehntelang deswegen so gerne benutzt, weil es ein sehr säurebeständiges, nicht brennbares und hitzebeständiges Mineral ist. Durch seine Faserform liesen sich daraus Dämmungen genauso wie z.B. Schutzanzüge fertigen. Allerdings haben typische Asbestkristalle eine Größe und Form haben, die sehr immunogen ist. Einmal eingeatmet lösen die Fasern in der Lunge eine starke Immunreaktion aus - allerdings kann das Immunsystem die Fasern nicht abbauen (sind ja ein Mineral) und versucht sie deshalb einzuschließen und abzukapseln - es bilden sich Granulome. Durch die chronischen Entzündungen der Lunge verändert sich das Lungengewebe, es wird weniger elastisch und fibrotisch (Asbestose). Entzündungen erhöhen aber auch das Krebsrisiko, u.a. weil dabei Sauerstoffradikale freigesetzt werden, die wiederum die DNA umliegender Zellen schädigen können.

Wie wurde der Zusammenhang von Babypuder und dem Risiko für Eierstockkrebs hergestellt?

Diese Assoziation stammt im Wesentlichen aus retrospektiven Case-Control-Studien. Man hat also Frauen befragt, die an Eierstockkrebs erkrankt waren und nach Unterschieden in der Lebenweise gesucht, die im Vergleich zu Kontrollpersonen auffällig waren. Aus der Case-Gruppe gaben signifikant mehr Frauen an, über längere Zeiträume zur Intimpflege Babypuder genutzt zu haben als aus der Control-Gruppe. Allerdings war eine mögliche Kontamination von Babypuder mit Asbest schon in den 1970ern in den USA durch die Medien gegangen und ein Recall-Bias ist deswegen nicht gänzlich auszuschließen.

Wie kann Babypuder Eierstockkrebs verursachen?

Analog zum Geschehen in der Lunge hat man vermutet, dass - sollte Puder mit Asbest verunreinigt gewesen sein - dieser Entzündungen von Eileitern und Eierstöcken verursacht haben könnte. Eine Migration von Puder bis in die Eierstöcke konnte aber wie gesagt bislang nicht gezeigt werden. Es handelt sich dabei also um eine Hypothese, wie sich die Assoziation von Puderverwendung und höherem Risiko für Eierstockkrebs kausal erklären ließe.

Warum wäre ein genereller Verzicht sinnvoller als ein Ausweichen auf Puder mit anderen Inhaltsstoffen?

Das ist nur eine persönliche Schlussfolgerung, die ihr nicht teilen müsst. Die Überlegung dahinter war: Asbest ist wegen seiner Form besonders immunogen und löst leicht heftige Entzündungsreaktionen aus. Allerdings sind Talk und auch die Kalk ebenso mineralischen Ursprungs und könnten in geringerem Maße ebenfalls zu Granulomen und Entzündungen führen, sollten sie in großer Menge bis zu den Eierstöcken gelangen. Auch das Stärkephosphat ist in dem Fall ein Salz mit organischem Kation und damit nur schwer abbaubar.
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