Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

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Swan
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Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von Swan » 30.10.2021

Ausgangslage: Unsere gesellschaftliche Beziehungsnorm passt nicht mehr
Das sehr eingeschränkte Angebot an gängigen Beziehungsmodellen in demokratisch-liberalen Gesellschaften ist anachronistisch. So richtig passt das geltende Leitbild einer monogamen und dyadischen Liebesbeziehung nicht mehr zu einer mittlerweile stark individualisierten, diversen und - zumindest in großen Teilen - emanzipierten Gesellschaft. Sehr viele Menschen wollen ihre ganz spezifischen Bedürfnisse und Lebensvorstellungen verwirklichen, und immer mehr können das auch tatsächlich tun. Wenn es nun um das Verwirklichen emotionaler, erotischer und sexueller Vorstellungen im Leben geht, hat die monogame Dyade einige entscheidende Nachteile. Denn dadurch, dass das gesamte Repertoire an vielfältigen individuellen Bedürfnissen beider Partner in eine einzige, geschlossene Beziehung fließt, kann...
  • eine große Last auf dieser Beziehung und den beteiligten Partnern liegen, dass diese Bedürfnisse auch tatsächlich alle in der Dyade erfüllt werden
  • eine Situation wiederkehrend und dauerhaft enttäuschter Erwartungen entstehen, die auf Kosten von Wertschätzung füreinander geht
  • ein impliziter (oder auch expliziter) Druck aufgebaut werden, dass der Partner oder die Partnerin sich verändern oder anders sein müssen
  • ein Gefühl der Unfreiheit entstehen, weil die Partner hin- und hergerissen sind zwischen der Erfüllung der eigenen und der Berücksichtigung der Bedürfnisse des anderen
  • ein permanent schlechtes Gewissen sowie ein großer Verlust von Nähe und Authentizität aufkeimen, wenn einzelne individuelle Bedürfnisse auf geheimem Wege außerhalb der Dyade erfüllt werden (klassisches Beispiel ist die Affäre)
  • ein Gefühl des Mangels und/oder Funktionieren-Müssens aufkommen, weil einer oder beide Partner ständig Kompromisse eingehen, um die normativen Verhaltensmuster der monogamen Dyade bedienen zu können
Einige dieser Konsequenzen sind sicherlich mitverantwortlich für eine jährliche Scheidungsrate in Deutschland von etwa 40%. Und einige sind sicher mitverantwortlich dafür, dass auch aktive Ehen und außereheliche Dyaden nicht selten unerfüllend bis hin zu toxisch sind. Dabei ist es bezeichnend, dass Paare häufig in der Post-Family-Phase auseinander gehen: Die Mammut-Aufgabe, eine gemeinsame Familie aufzubauen und zu entwickeln, ist größtenteils erledigt. Der Blick nach vorne, in die Zukunft, rückt das individuelle Leben - gerade vor dem Hintergrund der mit zunehmendem Alter immer wichtiger werdenden verbleibenden Lebenszeit - und die persönlichen Bedürfnisse wieder in den Fokus. Einfach weiter Familie mit Kindern zu spielen und in verlassene Kinderzimmer zu glotzen, während sich das Haus immer leerer anfühlt, ist keine glücksversprechende Option. Dass beide Partner in der Post-Familiy-Phase in die gleich Richtung schauen, sehr ähnliche oder mindestes komplementäre Bedürfnisse haben, ist möglich, aber auch unwahrscheinlich. Die eine Partnerin will endlich beruflich voll durchstarten, während ihr Partner auf Reisen gehen möchte. Eine will ganz intensiv die Welt des Kinks explorieren, der andere hat insgesamt mehr Lust auf Mediation als auf Sex... Ganz einfach gesagt: Für eine Familie mit Kindern ist die (monogame) Dyade optimal, außerhalb dessen nicht unbedingt.

Skizze: Die polyamore Cgl-Familie
Nun existieren ja, wenn auch eher im subkulturellen Bereich, bereits eine ganze Reihe von unterschiedlichen Formen alternativer Beziehungsmodelle. Hier möchte ich gern das spezielle Beziehungsmodell einer polyamoren Cgl-Familie skizzieren und hoffentlich mit Interessierten diskutieren und weiterentwickeln.

Grundidee ist ein fester Kreis besonderer Menschen, die ihre emotionalen, erotischen und sexuellen Bedürfnisse miteinander teilen und gegenseitig erfüllen, die füreinander da sind, sich gut tun, sich gegenseitig unterstützen, auffangen, Liebe & Respekt zukommen lassen, schöne Erlebnisse miteinander generieren, und die sich einfach ganz genau so akzeptieren, sein und frei lassen, wie jede(r) einzelne ist.

Die polyamore Cgl-Familie ist also kein offenes Beziehungsmodell, sondern quasi-geschlossen oder allenfalls halb-offen. Denn die Erfüllung der unterschiedlichen Bedürfnisse geschieht innerhalb, nicht außerhalb der Familie und der Kreis kann nicht willkürlich, sondern nur in Abstimmung mit allen Familienemitgliedern erweitert werden. Dadurch erhalten die Familienmitglieder Sicherheit und das gesamte Beziehungskonstrukt Stabilität.

Transparenz über die individuellen Bedürfnisse der Beteiligten ist sehr wichtig: Zum einen, weil dadurch eine besondere Tiefe, Nähe und Akzeptanz untereinander geschaffen wird, die letztlich bei allen das Gefühl weckt, genau so angenommen und geliebt zu sein, wie man wirklich ist. Zum anderen, weil nur durch Transparenz der individuellen Bedürfnisse herausgefunden werden kann, auf welche Weise sich die einzelnen Familienmitglieder gut tun können, wer also welche Bedürfnisse wie erfüllen kann. Dabei sind Bedürfnisse wirklich breit zu denken: Erotische und sexuelle Kinks können genauso dazugehören, wie das emotionale Bedürfnis nach Aufgefangen- und Angenommensein oder unbeschwert miteinander zu spielen.

Die Möglichkeiten der Erfüllung individueller Bedürfnisse im Rahmen einer Cgl-Familie ist durch den erweiterten Kreis von Menschen zweifellos weit größer, als dies in einer Dyade der Fall sein kann. Und das betrifft natürlich auch ganz lebensweltliche Dinge: Einen anderen Menschen zu unterstützen, wenn dieser in einer Krise ist, da zu sein, wenn ein Familienmitglied krank ist, auszuhelfen, wenn etwas getan werden muss, einen Rat zu geben, wenn jemand nicht weiter weiß, materielle Dinge zu teilen, wenn etwas gebraucht wird.

Der Cgl-Aspekt ist für eine polyamore Familie zwar nicht notwendig, aber für das Funktionieren und die Dynamik ungemein förderlich. Die Caregiver innerhalb der Familie übernehmen die Aufgabe, das Konstrukt, die Harmonie und letztlich das Wohlbefinden aller Familienmitglieder sicherzustellen. Die littles innerhalb der Familie sind frei vom Druck der Erfüllung bestimmter Bedürfnisse, wie es innerhalb einer dyadischen Beziehung der Fall sein kann. Sie können sowohl in Richtung Caregiver als auch in Richtung anderer littles ganz befreit aufspielen, ausprobieren und sich dadurch in einem geschützten, aber bunten Familienuniversum entfalten - was wiederum sehr positive Impulse für die gesamte Atmosphäre innerhalb der Familie mit sich bringt.

Diese Gedanken sind eine erste Skizze, was eine polyamore Cgl-Beziehung ist und welche Vorteile sie den Beteiligten bringt. Viele offene Fragen und sicher auch ungesehene Risiken werden auftauchen, wenn man sich weiter hineindenkt und hineinprobiert. Aber genau das ist spannend, interessant und hilft bei der Weiterentwicklung der Idee und auch der eigenen Persönlichkeit. Hoffe, die eine oder den anderen aus der Community hier durch die Idee ein wenig inspiriert zu haben. Vielleicht gibt es ja auch Feedback, Gedanken und Diskussionen zu dazu. Darüber würde ich mich sehr freuen...
Zuletzt geändert von Swan am 08.12.2021, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Die polymore Cgl-Familie - eine Skizze

von FranzW » 30.10.2021

Vielen Dank für Deine Skizze!

Ich finde Polyamorie ist ein wichtiges Thema, und so möchte auch ich meine Sicht darlegen. Als ich noch Single war, war ich der Ansicht, dass ich als schwuler Mann ganz sicher in einem Polykül landen würde, aber es kam anders. Nun lebe ich seit über 5 Jahren in einer monogamen, homesexuellen Beziehung und wir überlegen, zu heiraten.

Beim Nachdenken über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Polykülen habe ich folgende 2 Nachteile gefunden, die es Wert wären, diskutiert zu werden:
  • Eine Eigentumswohnung kann nur im Eigentum von maximal 2 Personen stehen. Ursprünglich war es eine einzelne Person, das wurde nur geändert um Partner*innen in monogamen Beziehungen mehr Rechte zu verleien. Eine Ausdehnung eines Wohnungseingentums auf mehrere Personen würde aber genau dem Sinn von Wohnungseigentum entgegenlaufen. Wenn ein Polykül Wohnraum im Eigentum haben möchte, braucht es also entweder ein ganzes Haus oder mehrere Wohnungen.
  • Die gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen sind völlig ungeklärt: Wenn eine oder mehrere Personen im Polykül keiner Erwerbsarbeit nachgehen oder nachgehen können, ist völlig unklar,
Liebe Grüße aus Niederösterreich!
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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von Swan » 06.11.2021

Danke für Deinen Impuls, Franz!

Ich sehe die polyamore Cgl-Familie primär als Wertegemeinschaft, nicht als Eigentumsgemeinschaft. Sollte ein Familienmitglied materiell oder finanziell Unterstützung brauchen, wird es diese bekommen. Aber nicht, weil es die Verpflichtung dazu gibt, sondern weil die Beteiligten solidarisch miteinander umgehen und sich insbesondere die CGs fürsorglich, schützend und unterstützend verhalten.

Geteiltes Eigentum sehe ich insgesamt als großes Risiko für die Cgl-Familie, denn es macht unfrei. Die meisten littles würden die Auseinandersetzungen, Abstimmungen, Vereinbarungen, bürokratischen Prozesse rund um Eigentum als eine sehr schwere Last empfinden und ihr Gefühl, in der Familie aufgefangen und frei zu sein würde erheblich beeinträchtigt. Zudem finde ich es sehr wichtig, dass niemand in eine finanzielle Abhängigkeit gerät. Vielmehr ist es Aufgabe der CGs die littles darin zu unterstützen, sich selbst etwas Nachhaltiges aufzubauen, um unabhängig leben und fest auf eigenen Beinen stehen zu können.

Zusammenwohnen ist aus meiner Sicht eine Option. Auch dass ein Teil der Familie zusammen wohnt, der andere Teil nicht. Auch, dass sich temporär verschiebt, wer mit wem zusammen wohnt. Je nachdem, wie die Bedürfnisse gerade sind, und was den Beteiligten in der aktuellen Phase und Situation gut tut.

Rein für mich als CG fühlt es ich so an, als würde ich zumindest längerfristig nicht Zusammenwohnen wollen. Ich möchte die Menschen innerhalb der Familie bedingungslos lieben, ihnen Fürsorge und Schutz zukommen lassen, ohne daran bestimmte (eigenmotivierte) Erwartungen zu knüpfen. Das fällt mir viel leichter, wenn ich eine eigene Wohnung habe, einen Rückzugsort, der mir die notwendige Distanz gibt, um wirklich im Sinne Aller führen zu können.

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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von FranzW » 15.11.2021

Ich finde es interessant, ob man die wirtschaftlichen Aspekte einer Beziehung wirklich außen vor lassen kann. Ich glaube, das würde nur in einer sozialistischen Gesellschaft funktionieren, in der von der Bereitstellung von Wohnraum, über Kinderbetreuung bis hin zur Pflege von Alten und Kranken alles vom Staat organisiert wird.

Will man hingegen einen Staat, der nicht in Lifestylefragen, sondern auch in wirtschaftlichen Fragen liberal ist, muss man eben auch die wirtschaftlichen Aspekte im Privaten regeln. Das enthält dann eben auch Fragen, wie man Wohnraum schafft, wer Pflege- und Betreuungsarbeiten leistet, und wer mit der Erwerbsarbeit das Geld hereinbringt. Das ist zu zweit schon schwierig, mit mehreren Personen, eine noch größere Herausforderung.

Liebe Grüße aus Niederösterreich!

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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von Swan » 18.11.2021

Will man hingegen einen Staat, der nicht in Lifestylefragen, sondern auch in wirtschaftlichen Fragen liberal ist, muss man eben auch die wirtschaftlichen Aspekte im Privaten regeln.
Das sehe ich auch so. Allerdings muss privat ja nicht gemeinschaftlich heißen. Für die polyamore Cg/L-Familie finde ich es vielmehr wichtig, dass alle Beteiligten für sich individuell auf eigenen Beinen stehen können, und von den CGs darin unterstützt werden, dorthin zu kommen. Nur dann können sie sich wirklich frei fühlen, weil sie nicht von einer finanziell-existentiellen Abhängigkeit erdrückt werden. Kleiner Exkurs: Ich habe häufiger schonmal den Eindruck, als wenn einige Daddys aus egoistischen Motivationen genau das nicht machen, also ihr Little nicht darin unterstützen, sich dahin zu entwickeln, das eigene Leben selbst zu meistern - und stattdessen strategisch die Abhängigkeiten verstärken und das Little auf diese Weise halb bewusst, halb unbewusst einsperren und für ihre Zwecke missbrauchen (<= bewusst gewählt, ist aus meiner Sicht ein Missbrauch).

Alle Beteiligten sollten also individuell für sich ihr Einkommen generieren und auch die Möglichkeit haben, eigenen Wohnraum zu finanzieren (ob sie dann auch alleine wohnen, ist eine nachgelagerte Frage). Erst dann wird es zu einer freien Entscheidung, ob und auf welche Weise sie Teil der Familie sein wollen - denn sie könnten jederzeit auch austreten und für sich sein und leben. Und erst dann wird Solidarität wirklich zu einem gelebten Wert, weil sie nicht aus einem formellen Zwang entspringt. Die Familienmitglieder unterstützen sich gegenseitig und nehmen voneinander Unterstützung an, weil sie das wollen, nicht weil sie das müssen.

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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von Knuddeline » 06.12.2021

Ich lese zwei Sätze, frage mich wo ich hier gelandet bin und ob es mir nur allein so geht, aber gerade kann ich mir nicht vorstellen wie eine Person die so hochgestochen und abgehoben schreibt, überhaupt in irgendeiner Weise unserer /meiner gedachten Community zugehörig sein kann.

Ich glaube ich bin lieber weiterhin dumm und infantil, habe dafür aber mehr Spaß.

Grüße
Knuddeline

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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von Fürchtige » 07.12.2021

Ich bin zu dumm für.
Bei einer Zweierbeziehung ist angeblich Problem, einer hat die Erwartungen von einem zu erfüllen und das steht 50:50 zu eigenen Bedürfnissen.
Wie die Mathematik aufgehen soll, wenn dann bei dreien die Erwartungen zweier erfüllt werden sollen *schulterzuck*
Es kommt doch, nur weil mehr Leute dazu kommen, kein bedürfnisloser Gott dazu, der den Rest ausgleichen kann? Nach meiner Empfindung verteilt es sich dann also nur auf mehr, muss mehr geswitcht werden. Und falls ich jetzt mal noch Technik dazu nehme, umschalten heisst zusätzlich Schaltverluste. Gesamtenergiemäßig wird das also schlechter als bei 2.
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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von eedoo » 07.12.2021

Ausgangslage: Unsere gesellschaftliche Beziehungsnorm passt nicht mehr
Die gängigen Beziehungsmodelle in demokratisch-liberalen Gesellschaften sind anachronistisch. Das immer noch gültige Leitbild einer monogamen und dyadischen Liebesbeziehung passt nicht mehr richtig zu einer mittlerweile stark individualisierten, diversen und - zumindest in großen Teilen - emanzipierten Gesellschaft. Sehr viele Menschen wollen ihre ganz spezifischen Bedürfnisse und Lebensvorstellungen verwirklichen, und immer mehr können das auch tatsächlich tun.

Ich finde den Beitrag nicht uninteressant, aber er scheint in den Raum zu stellen, dass es heutzutage niemandes Bedürfnis und Lebensvorstellung mehr ist, sich an eine einzelne Person zu binden, und das würde ich ganz heftig anzweifeln.

Kann auch sein, dass ich in der falschen Bubble lebe, aber bei den Leuten aus meinem Bekanntenkreis, die sich in poly Beziehungsmodellen versucht haben, standen am Ende alle ohne irgendeine Beziehung da, weil sich herausgestellt hat, dass einige Teile des poly-Gefüges mit ihrer Position darin nicht umgehen konnten.
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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von baerschen » 07.12.2021

Huhu,

ich hab den Eingangsbeitrag eher so verstanden, dass das Zweier-Beziehungs-„Modell“ weiterhin als gleichwertige Option neben anderen, zu denen das polyamore gehört, bestehen bleiben kann, aber dass die Gesellschaft sich nicht mehr darauf festlegen muss und auch nicht sollte. Die Festlegung auf eine einzige Norm für die ganze Gesellschaft ist für mich tatsächlich auch gefühlt ziemlich einengend, aber wie @eedoo sagt, Zweierbeziehungen können sehr erfüllend sein - ich denke, wir alle kennen glückliche Paare. Aber das muss ja nicht alles sein…

Ich persönlich finde den Gedanken an Polyamorie (allgemein) ziemlich spannend - was zugegebenermaßen auch daran liegt, dass ich mich anderen Menschen oft sehr nahe fühle (was mich teils emotional überlastet, aber das ist eine andere Geschichte). Genau da sehe ich aber auch das Problem: Wenn sich in einem Konflikt ein Riss bildet und man doch Menschen aus beiden Teilen der gespaltenen Gruppe liebt, stelle ich mir vor, dass es einen noch viel mehr zerreißt als eine Zweier-Beziehungskrise (ich persönlich habe das schon in normalen Freundeskreisen als extrem belastend gefunden). Hat jemand von Euch da Erfahrungen, wie man dann damit umgehen kann?

Am schlimmsten stelle ich mir eine Trennung vor, so als ob der Trennungsschmerz mit der Zahl der Getrennten potenziert wird.

Bei Regeln, die alles kanalisieren sollten, hab ich immer das Gefühl, dass sie mehr Konflikte schaffen als lösen, denn ihre Einhaltung kann je nach Situation sehr belastend sein, und wenn jemand damit überfordert ist und andere das nicht verstehen (oder ihre eigenen inneren Konflikte haben) und „im Sinner der Gemeinschaft“ auf ihre Einhaltung pochen, muss das eine schier unerträgliche Situation sein.

So vermute ich, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Funktionieren eine große Resilienz bei allen ist, was vermutlich nie der Fall sein wird. Andererseits gibt es in menschlichen Beziehungen ja auch ausgleichende Momente, und es gibt ja wohl polyamore Gemeinschaften, wo das funktioniert - sonst wäre das „Modell“ sicher schon ausgestorben.

Für CGL-Familien käme die Challenge hinzu, dass einige Littles Gefahr laufen, in eine gefährliche Abhängigkeitssituation zu gelangen, und dass selbst die beste (oder bestgemeinte) Unterstützung der CGs das, wenn es nicht gut läuft, nur vertieft, auch wenn sie das Gegenteil bewirken wollen. Vielleicht funktioniert es, wenn die CGL-Dynamik quasi ein „Addon“ auf die insgesamt erwachsene Gemeinschaft ist. Vielleicht sind alle Beteiligten so reif, dass es auch so funktioniert. Allerdings fürchte ich, dass manchmal nicht alle Littles stark genug sind, das zu schaffen.

Das klingt jetzt leider viel negativer, als ich es meine. Ich finde den Ansatz wirklich spannend, er ist aber sicher gerade im CGL-Kontext eine ganz besondere Herausforderung.

Ich muss dazu auch sagen, dass ich hier Null Erfahrungen einbringen kann, es sind alles eher theoretische Gedanken, die ich „ins Grobe“ formuliere. 🙂

Lg Micha
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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von Swan » 08.12.2021

Danke Euch für das Feedback.

Der Eingangsbeitrag sollte nicht das Bedürfnis nach einer monogamen Zweierbeziehungen bashen (eher deren gesellschaftlichen Absolutheitsanspruch). Er ist an einigen Stellen zu scharf und provokant formuliert. Sorry, das habe ich ein wenig angepasst. Ich denke, die monogame Dyade ist für viele Menschen eine wunderbare Form für eine intime und erfüllende Partnerschaft. Aber ich denke auch, dass ein (gängiges und breit akzeptiertes) Beziehungsmodell für eine so differenzierte und individualisierte Gesellschaft, in der es mittlerweile so viele unterschiedliche Bedürfnisse und Lebensvorstellungen gibt, zu wenig ist. Viele Menschen engen sich meines Erachtens unnötig ein, weil sie keine legitime Alternative zu der monogamen Dyade sehen oder ernsthaft in Betracht ziehen. Ich finde es daher wichtig, dass neben dieser noch weitere Formen von intimen Beziehungen als gleichberechtigte Optionen existieren. Und da finde ich, sind wir gesellschaftlich nicht besonders weit.

Intime Beziehungen und der damit verbundene Austausch von Liebe, das Erschaffen von Nähe, das Erfüllen von Bedürfnissen lassen sich meines Erachtens nicht als Berechnung mit begrenzten Ressourcen verstehen. Wenn ich eine Person voll und ganz liebe, sind ja nicht 100% meiner Liebesfähgikeit verbraucht. Sonst würden beispielsweise Eltern mit jedem Kind zusätzlich die bisherigen Kinder weniger lieben - bei drei Kids bekäme jedes leider nur noch 33% Liebe ab. Wir lieben doch in den allermeisten Fällen immer mehr als einen anderen Menschen in unserem Leben, und die eine Beziehung zu dem einen Menschen stört in der Regel die andere Beziehung zu jemand anderem nicht. Im Gegenteil, unterstützt das Ausleben und Erleben von liebevollen Gefühlen mit einem Menschen, wie liebevoll ich mit anderen umgehen kann. Liebe wird nicht kleiner, wenn man sie teilt, sondern sie wird größer.

In einer Zweierbeziehung die Erwartung zu haben, dass man sich gegenseitig alle emotionalen und erotischen (und eventuell noch weitere) Bedürfnisse erfüllt, ist häufig Teil des Problems. Wir sind doch alle sehr individuelle Persönlichkeiten, und das ist auch total schön so. Aber natürlich gibt es bei zwei individuellen Persönlichkeiten sehr häufig Bedürfnisse, die der Partner nicht so gut, nicht so gerne oder vielleicht auch gar nicht erfüllen kann. Auch wenn ganz viele andere Bedürfnisse wunderbar erfülllt sind. Man verbringt beispielsweise super gern Zeit miteinander, hat ähnliche Bedürfnisse nach körperlicher Nähe und gemeinsame Vorstellungen davon, wie man ein freies Wochenende verbringt. Aber diesen Kink oder Fetisch nach was auch immer kann der Partner nicht so richtig mitgehen, und es fühlt sich für ihn eher wie ein Zwang an, aber er hat vielleicht Angst davor, nicht mitzumachen, weil das Bedürfnis ja da ist, und er nicht enttäuschen will - eigentlich wünscht er sich insgeheim aber, dass das Bedürfnis gar nicht existierten würde. Insgeheim wünscht er sich also eigentlich schon die Partnerin, aber halt etwas anders, eben ohne diesen Kink, ohne dieses Bedürfnis. Das muss nicht so sein, aber so oder in ähnlicher Form ist es glaube ich viel viel häufiger der Fall, als wir uns und die Beziehungspartner sich eingestehen wollen. Wir reden uns schon gerne schön und ein, dass alle Bedürfnisse erfüllt sind, weil wir wissen, dass es so sein muss, weil es sonst ja womöglich nicht die eine richtige Beziehung ist. Warum aber überhaupt so zwanghaft alle Bedürfnisse in eine Beziehung pressen und nicht einfach die ganz spezifische Beziehung gemeinsam herausfinden, entwickeln und gestalten, die optimal zu den Beteiligten passt? Und daneben ist es eigentlich das Normalste der Welt, parallel weitere zwischenmenschliche Beziehungen zu anderen haben, die genauso individuell auf die Beteiligten abgestimmt sind.

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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von Fürchtige » 08.12.2021

Ich bin immer noch genauso dumm wie zuvor.
Ich kann mit Eini kuscheln. Oder mit Fanti. Bestenfalls noch mit beiden gleichzeitig. Dann sind meine Hände alle.
Jetzt kann ich natürlich zeitgleich noch meine Aufmerksamkeit weg nehmen und die Hand macht mechanisch was. Bei der Sache bin ich da nicht. Also wäre es Lüge, dass ich in dem Augenblick komplett tue/zuhöre/mitdenke/liebe.
Das einzigste was ich begriffen hab, ist das mit den 33%. Also wenn's zwei Kinder gibt, geht je 33% für jedes und noch für sich. Partner ist da schon raus.
Gleichzeitig geht ja nicht auf alle einzugehen.

Vielleicht ist das ja so gemeint, wenn gerade zwei von 4 gleichzeitig interagieren, ist für die restlichen zwei Zeit, voll miteinander da zu sein. Und weil eben die anderen zwei nicht an der Backe, ist's sogar weniger Stress, sind die gerade nicht existent (ansonsten ist wieder nicht voll mit dem Gegenüber in Verbindung).

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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von Swan » 10.12.2021

Ich kann mit Eini kuscheln. Oder mit Fanti. Bestenfalls noch mit beiden gleichzeitig. Dann sind meine Hände alle.

Vielleicht ist das ja so gemeint, wenn gerade zwei von 4 gleichzeitig interagieren, ist für die restlichen zwei Zeit, voll miteinander da zu sein. Und weil eben die anderen zwei nicht an der Backe, ist's sogar weniger Stress, sind die gerade nicht existent (ansonsten ist wieder nicht voll mit dem Gegenüber in Verbindung).
So ist das gemeint. Es geht darum, dass mehrere Menschen eine - wie auch immer geartete und nach ihren Bedürfnissen ausgerichtete - Beziehungen zueinander haben (die auch überhaupt nicht sexuell sein muss). Es geht nicht darum, dass alle gleichzeitig etwas miteinander haben oder unternehmen.

Du kuschelst also 100% mit Eini während Fanti gerade sowieso beim Sport ist. Und wenn Eini dann eingeschlafen ist, spielst Du 100% mit Fanti, weil Du noch gar nicht müde bist. Eini sagt "Kein Problem, ist ja nur Fanti, und ich will eh pennen. Wünsche Euch viel Spaß."

Vielleicht gibt es in Eurem Kreis aber sogar noch ein viertes Familienmitglied, das gar nicht bei Euch wohnt, aber abends vorbeikommt, weil ihr super gerne zusammen in die Badewanne geht, während Eini und Fanti auf Baden nie Bock haben und daher lieber gemütlich gemeinsam einen Film gucken.
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Re: Die polyamore Cgl-Familie - eine Skizze

von Swan » 11.12.2021

Danke Baerschen, ich kann Deine Gedanken sehr gut nachvollziehen, und sie haben mich (wieder einmal) inspiriert. Die Skizze ist auch in meinem Kopf noch echt theoretisch und kommt nur mit wenig konkreten Erfahrungen daher. Vielleicht ist es auch für die Realität untauglich und wieder mal einer dieser Dinge aus dem wunderbaren Reich der Vorstellungen, die am besten auch genau dort bleiben 😊.

Obschon ich ja gerade als Cg die Intimität in der direkten Zweier-Beziehung zu meinem Little über Alles liebe, finde ich den Familiengedanken dennoch spannend - und zwar im Sinne eines festen Kreises vertrauter Menschen, die unterschiedliche, auf ihre Bedürfnisse angepasste zwischenmenschliche Beziehungen miteinander pflegen (die überhaupt nicht sexuell sein müssen!).
Am schlimmsten stelle ich mir eine Trennung vor, so als ob der Trennungsschmerz mit der Zahl der Getrennten potenziert wird.
Ja, das stelle ich mir auch so vor. Andersherum ist eine vollständige Trennung eventuell auch weniger wahrscheinlich, weil es Verbindungen zu mehreren Menschen gibt.
Bei Regeln, die alles kanalisieren sollten, hab ich immer das Gefühl, dass sie mehr Konflikte schaffen als lösen, denn ihre Einhaltung kann je nach Situation sehr belastend sein, und wenn jemand damit überfordert ist und andere das nicht verstehen (oder ihre eigenen inneren Konflikte haben) und „im Sinner der Gemeinschaft“ auf ihre Einhaltung pochen, muss das eine schier unerträgliche Situation sein.
Sehe und fühle ich auch so. Ich denke aber schon, dass einzelne situative und von den Beteiligten getragene Regeln helfen können, ein stabiles Gleichgewicht zu (re)etablieren. Gemeinsame Prinzipien an Kommunikation (z. B. Transparenz auf Anfrage) und Verhalten (z. B. jeden genau so annehmen, wie sie / er ist, keine Besitzansprüche) sollten anders als die eher situativen Regeln ein generelles Commitment aller Beteiligten sein, so dass sich jeder immer darauf verlassen kann.
So vermute ich, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Funktionieren eine große Resilienz bei allen ist, was vermutlich nie der Fall sein wird.
Allerdings frage ich mich, ob es so etwas wie eine Systemresilienz gibt. Also, die Fähigkeit der Familie insgesamt, nicht resiliente Personen (gemeinsam) aufzufangen. Denn der Rückhalt einer geschlossenen Gemeinschaft vertrauter Menschen ist schon ein starkes und resilientes Fundament.
Für CGL-Familien käme die Challenge hinzu, dass einige Littles Gefahr laufen, in eine gefährliche Abhängigkeitssituation zu gelangen, und dass selbst die beste (oder bestgemeinte) Unterstützung der CGs das, wenn es nicht gut läuft, nur vertieft, auch wenn sie das Gegenteil bewirken wollen.
Ich bin gerade unschlüssig, ob nicht das Abhängigkeitsrisiko für ein Little in der Dyade größer ist, weil es hier anders als in der Familie kein Korrektiv zum Cg / Daddy / Dom gibt. In der Familie gucken alle ein bisschen mit drauf, was passiert und ob es allen Beteiligten gut geht - und auch ob ungewüschte Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. Zudem sind die Littles unter sich nochmal miteinander verbunden, was ihnen nicht nur zusätzliche Sicherheit gibt, sondern wo sie sich oft nochmal auf ganz andere Weise gegenseitig sehr gut tun können.

Vielleicht funktioniert es, wenn die CGL-Dynamik quasi ein „Addon“ auf die insgesamt erwachsene Gemeinschaft ist. Vielleicht sind alle Beteiligten so reif, dass es auch so funktioniert. Allerdings fürchte ich, dass manchmal nicht alle Littles stark genug sind, das zu schaffen.
Auf jeden Fall müsste die Familie im Kern aus dem Commitment der Erwachsenen bestehen, und die Cg/L-Dynamik kann als "Addon" bei einigen der Beziehungen eine Rolle spielen. Klar ist, dass dieses Modell gerade zu Beginn sehr hohe Anforderungen an Kommunikation - insbesondere immer wieder Bedürfnisse explizit machen, Vereinbarungen abstimmen und Grenzen zum Schutz der einzelnen Beziehungen ziehen - mit sich bringt. Offenheit, Achtsamkeit, liebevolles Freilassen und großzügiges Gönnen-Können sind notwendig, damit eine solche Familie für alle Beteiligten funktioniert und wirklichen einen Ort des Aufgefangenseins darstellt. Dennoch hat aber natürlich auch ein solches System gerade wegen der geschlossenen Grenzen nach außen seine stabilen Gleichgewichte, wie es diese ja in der klassischen Familie auch gibt - denn auch dort pflegen wir ja intime zwischenmenschliche Beziehungen zu mehreren Personen.


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