Unvereinbar wie Popper und Non-Popper - Zerfällt die Ageplayszene durch Gegensätze und Kommunikations(un)kultur?

Tintin
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Unvereinbar wie Popper und Non-Popper - Zerfällt die Ageplayszene durch Gegensätze und Kommunikations(un)kultur?

von Tintin » 25.05.2022

Mein Kumpel Richie "macht Kunst". Er verbindet Kunststoff-Folien mittels eines Hochfrequenz-Schweißgerätes zu Skulpturen, die man aufpustet. Richie kennt die Inflatable-Fetischszene gut und hat mir von den beiden geradezu unvereinbaren Gruppen erzählt: Die einen haben aufblasbare Tiere oder was auch immer ganz schrecklich lieb. Emotional und auch körperlich. Für die anderen gibt es nichts schöneres, als in ein Zimmer voller Luftballons zu kommen - und eine Nadel dabei zu haben. "Popper" und "Non-Popper". Unvereinbare Pole.

Das Spannungsfeld der Ageplay-Szene ist wesentlich komplexer, weil es wesentlich mehr Faktoren gibt - ideell und materiell. Exemplarisch erwähne ich die Antipoden D/S-Dynamik versus Befreiung von Zwängen oder Pflichten, Verbalität versus Nonverbalität, White Ageplay versus Dark Ageplay, pro und kontra Windeln, sexualisiertes Empfinden versus asexuelles Empfinden. Und wenn das nicht schon schwierig genug wäre, so kennt der Mensch einen Erregungsreflex, ausgelöst durch ein Gefühl von Geborgenheit, das den eigentlich Ageplay als nicht sexuell verstehenden Menschen, völlig aus der Bahn werfen kann. Man könnte sagen, dies schlage ebenso heftig ein, wie die Komfrantation mit einem Vertreter der "anderen Seite" in der Kommunikation und, schlimmer noch, in einer Spielsituation, bei der man sich schon in seinem "Space" befindet und dieser beschädigt zu werden droht.
Zwei Konklusionen drängen sich förmlich auf: Es ist ungemein schwierig, ein kompatibles Gegenüber zu fünden und der Umgang miteinander erfordert Umsicht und viel Rücksichtnahme aufeinander. Und eben viel mehr, als beispielsweise das "Real Life" erfordern würde.

Ich meine die aktuelle Misere der Szene zu einem guten Teil in den aktuellen Kommunikationskultur auszumachen, die mit forcierter elektronischer Einzelkommunikation auf individuelle Zusammentreffen drängt und somit - wie ich finde viel zu viele - neue Leute erschreckt, verschreckt und damit verhindert, Teil einer Szene zu werden, die ich als hilfsbereit, warmherzig und freundlich erlebt habe.
Schlüssel dazu waren einerseits Stammtische, deren Organisatoren als Eisbrecher und Kommunikatoren fungierten sowie hieraus abgeleitete Ausflüge, einfach um sich plappernd kennenlernen und vielleicht sogar mögen zu können. Das hat seinerzeit sogar beim regionalen Trekdinner (also Treffen von Star-Trek-Fans) geklappt. Und da gab es Elaurianer, Vulkanier und Klingonen.

Daß die Kontaktarmut durch Covid und deren Nachgang die Lage noch weiter verschlimmert hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Und gerade deshalb formuliere ich meine ganz persönliche Bitten: Liebe Leute, geht zu Stammtischen hin und verabredet Euch in Gruppen und Grüppchen zu gemeinsamen Ausflügen, Eiscafe- oder Freizeitparkbesuchen oder ähnlichem, ohne mit offenkundigem Hardcore-Szenekram den Rest der Gruppe eventuell zu überfordern.
Es gibt die reale Chance, der Szene wieder Leben einzuhauchen. Und davon würden wir alle profitieren. Nur Mut
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Re: Unvereinbar wie Popper und Non-Popper - Zerfällt die Ageplayszene durch Gegensätze und Kommunikations(un)kultur?

von baerschen » 25.05.2022

Huhu Tintin,

erstmal großen Dank für Deinen Beitrag! Wenn es mehr solche Beiträge gibt, bleibt Kumu lebendig! Und es gibt mir Zukunftshoffnung, dass du und mehrere andere Kumus das offensichtlich auch so sehen!

Deine Beobachtung, dass die Covid-<insert swearword here> mit hauptverantwortlich für die derzeitigen Probleme in der Szene sind, teile ich. Ich habe zunächst eine merkwürdige Demotivation in der Internet(foren)kommunikation bemerkt, die ich zuerst ziemlich paradox fand - denn Onlinekommunikation im Allgemeinen) war doch der einzige verbleibende Weg, Kontakt zu halten. Dann wurde der Ton rauer: im gleichen Maße, wie Imfgegner und Querdenker auftauchten, kamen Konflikte in der Szene ans Tageslicht.

Um ehrlich zu sein, habe ich mir vor der Krise nur am Rande Gedanken darüber gemacht, inwiefern und ob überhaupt die Szene gespalten ist. Da war was, aber: Ich hielt das für ein Kommunikationsproblem und dachte, dass zum Beispiel Kumu als Integrationsfaktor helfen könnte, diese Teile zusammenzubringen und die vorhandenen Gräben zu füllen. aber dann kam Covid.

Am schlimmsten fand ich, dass es gerade zu einer Zeit kam, als die Szene so richtig am Lebendigwerden, quasi am Beginn eines Booms ;), war. Auch wir selber hatten gerade den Blog/Portal fertig und waren super motiviert, dort ein positives Bild von der Szene zu zeichnen - nein, vielmehr die Szene so positiv darzustellen, wie sie in großen Teilen war. Leider war im Frühjahr 2020 plötzlich nichts mehr los - und dann rissen die Gräben eher weiter auf, als dass sie flacher wurden.

Mein erster Schluss war, dass wohl Frustration und Einsamkeit dazu neigen, das Schlechtere im Menschen an die Oberfläche zu bringen. Aber… irgendwie muss das zu kurz gedacht sein. Menschen bleiben doch Menschen! Aber ich denke schon, dass mehr oder weniger Frustration einen je nach Charakter dazu bringen können, ein „Notprogramm“ abzuspulen, das nicht immer wirklich schön ist. Ich habe an mir persönlich bemerkt, dass ich mich immer weiter zurückgezogen habe und mich nach einiger Zeit nicht mehr traute, mehr Kontakte am Leben zu halten als einen engeren Kern.

Wie auch immer, ich bin weiterhin der Ansicht, dass die Gräben sich wieder füllen lassen. Deinen Appell, Realkontakte wiederzubeleben, finde ich sehr gut und wichtig. Denn das „grounded“ eine:n. Zum Glück hab ich den Hamburger Stammtisch. Dort sind wirklich sehr verschiedene Vorlieben versammelt, vom Little/CG über knuddelige Puppies bis zu Fetischisten und reinen BDSM-Leuten, und alle verstehen sich prima, viele sind gute Freunde. So wie ich dich verstehe, ist es genau das, was du meinst. Also schließe ich mich dir einfach mal an und sage: Ja, Leute, geht raus und findet Freunde!

Lg Micha

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FranzW
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Re: Unvereinbar wie Popper und Non-Popper - Zerfällt die Ageplayszene durch Gegensätze und Kommunikations(un)kultur?

von FranzW » 25.05.2022

Hallo!

Ich selbst komme gerade von einer mehrtägigen Ageplayfreizeit mit lauter lieben Menschen, und erlebe daher derzeit ein Hochgefühl, weshalb ich der negativen Grundstimmung von Tintin etwas entgegensetzen möchte.

Den Aufruf, zu Stammtischen und anderen Events zu gehen kann ich jedenfalls nur unterstützen.

Die Thematik mit den unvereinbaren Ansichten innerhalb der Ageplayszene finde ich übrigens auch sehr spannend, ich selbst habe bereits unter viewtopic.php?f=22&t=2469 einen Thread gestartet.

Insgesamt habe ich aber nicht den Eindruck, dass die Ageplayszene zerfällt, sondern ganz im Gegenteil, dass es früher viel schwieriger war, Anschluss zu finden. Als ich vor 10 Jahren Anschluss an die Szene suchte, ist es mir jedenfalls ähnlich gegangen, wie Tintin es beklagt. Die Kommunikation war "forcierte elektronische Einzelkommunikation", das hat auch mich damals sehr frustriert. Auch ich habe mich durch viele PlanetRomeo-Chats kämpfen müssen, bis ich Anschluss an die Szene gefunden habe. Ich habe jedoch die Hoffnung, dass durch die Stammtische, die ich mitorganisiere, es zumindest den Leuten in meiner Umgebung leichter macht, Anschluss zu finden.

Weiters sehe ich es nicht als dramatisch an, wenn sich mehrere voneinander unabhängige Gruppen bilden, ich halte das für durchaus menschlich, dass sich Gruppen bilden und manchmal auch wieder trennen.

Liebe Grüße aus Niederösterreich!
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