Soweit ich weiß, entstand der Begriff ASMR irgendwann um das Jahr 2010 herum auf Reddit und begann mit einem Thread von Nutzer*innen, die sich darüber austauschten, dass bestimmte, leise und unscheinbare Geräusche wie Flüstern, leises Sprechen, Klopfen, Knistern und Knirschen bei ihnen ein starkes Kribbeln und teils Gänsehaut auslösen können. Irgendwann hat sich zur Bezeichnung dieses Phänomens der Begriff ASMR (Autonomous Sensory Meridian Response) eingebürgert, auch durch dezidierte Videos mit einer hohen Dichte an solchen Auslösern, durch die dann Wohlbefinden und teilweise sogar Euphorie hervorgerufen wird.
Die Bezeichnung ASMR ist also kein klassischer Fachbegriff und hat als solcher keine eindeutige Definition. Letztlich ist es vielleicht nur eine von vielen Erscheinungsformen von
Synästhesie, also der Vermischung von Sinneseindrücken. Was ASMR als Erscheinungsform und Forschungsthema dennoch interessant macht, ist seine große Popularität im Internet bzw. via Social Media, die sich nicht allein durch die technischen Möglichkeiten erklären lässt. Rein technisch betrachtet, könnte man genauso gut Webseiten erstellen, die im Browser oder über VR-Headsets zum Beispiel auditorische Missempfindungen durch die Anzeige von bestimmten Farbkombinationen auslösen. Auch ist rein statistisch betrachtet die ASMR-typische Synästhesie in der Bevölkerung nicht weiter verbreitet als andere Formen. Warum ist ASMR also so populär im Internet?
Eine Hypothese ist, dass es mit einer zunehmenden Vereinsamung der Gesellschaft einhergeht - zumindest subjektiv empfindet sich eine gestiegene Anzahl Menschen isolierter als früher. Je nach Untersuchung ist es eher die
Generation Z oder
mittelalte Männer zwischen 40-60, die subjektiv am einsamsten sind.
Von Untersuchungen des Gehirns weiß man, dass Personen die für ASMR empfänglich sind, dadurch Aktivität in Hirnarealen zeigen, die üblicherweise mit Belohnung und emotionaler Erregung verbunden sind und auch durch Beziehungen und körperliche Nähe ausgelöst werden. Das deckt sich mit einer weiteren Studie,
die physiologische Reaktionen zeigen konnte, die sonst eher mit Zuwendung, Berührung und persönlicher Nähe assoziiert sind. Unmittelbare sexuelle Erregung durch die ASMR-Auslöser konnte in der Studie übrigens nicht nachgewiesen werden, je nach Machart des Videos kann diese aber natürlich durch zusätzliche Elemente hervorgerufen werden. Bleibt festzuhalten, dass durch ASMR in manchen Personen starke Gefühle von Wohlbefinden und Nähe ausgelöst werden können, wie das sonst eher nur persönlicher Kontakt kann.
Interessant ist unter dem Aspekt noch der Blick auf die Bedürfnisse der Personen. Im
Fünf-Faktoren-Modell zeigten Konsument*innen von ASMR Inhalten
höhere Werte für Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit), höhere Aufgeschlossenheit und geringe Extraversion (nach außen gewandte Haltung). Diese Studie hat übrigens keine physiologischen Messungen gemacht, sondern die Teilnehmenden nur aus ASMR-Foren rekrutiert, insofern bleibt unklar, ob diese Personen tatsächlich auch die Tingles empfinden oder nur Videos dieser Machart allgemein aufgeschlossen gegenüber stehen.
Geringe Extraversion und sehr starker Neurotizismus kennzeichnen übrigens auch Menschen, die sich als Littles identifizieren. Insofern ist die thematische Überschneidung mit dem CG/l-Bereich nicht allzu verwunderlich.