Ich kann nur allen Leuten raten, die von der Politik oder den Politikern pauschal enttäuscht sind, selbst politisch aktiv zu werden – beispielsweise auf kommunaler Ebene, wo viele Fragen einen ganz engen Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit haben. Viele Ortsvereine der Parteien haben öffentliche Stammtische oder Gesprächsrunden bei denen man einfach vorbei kommen und sich das mal anschauen kann.
Ich kann das sagen, weil ich mit dem Enthusiasmus (und der recht üppigen Freizeit) eines Studenten schon im Jahr 2007 bei der Piratenpartei eingestiegen bin und einige Jahre das Auf und Ab der Partei begleitet habe. Am Anfang, als wir noch eine kleine Gruppe waren, waren die Treffen toll: Lauter junge motivierte Leute, kaum Widerspruch (weil alle ähnlich dachten) und der Anspruch, eine neue, transparentere, bessere Politik zu machen. Klarmachen zum Ändern war nicht für umsonst eines der ersten Parteimottos.
Das Konzept von
Liquid Democracy, das in der Partei gelebt und genutzt wurde, finde ich bis heute sehr interessant und halte es nach wie vor für die beste Form direkter Demokratie (besser als Volksentscheide jedenfalls), obwohl auch das seine Tücken und Missbrauchspotentiale hat.
Ansonsten wurde die wachsende Partei aber den existierenden Parteien leider immer ähnlicher: Es gab Parteimitglieder, für die man sich fremd geschämt hat. Es gab politische Positionen die man absolut nicht geteilt hat und Hinterzimmerdeals, die nicht zum Anspruch der Partei gepasst haben, die alles anders und transparent machen zu wollen.
Aus heutiger Sicht muss ich daher anerkennen: Politik ist wie sie ist, weil Menschen sind wie sie sind.
Wenn mich ein guter Freund um Hilfe bittet, dann helfe ich mehr und bereitwilliger als ich das bei Fremden tue. Wenn mich ein guter Freund um Zeit bittet, dann nehme ich mir diese, selbst wenn mein Terminkalender voll ist. Wenn dieser Freund aber nun für eine Firma arbeitet und ich Politiker bin? Dann habe ich einen Konflikt zwischen dem Amt, den offiziellen Abläufen und meinem Wesen als Mensch. Schon das kann problematisch sein – da muss noch nicht mal Geld fließen oder es muss noch nicht mal im Austausch Gefälligkeiten geben. Natürlich kann es das auch geben – das ist dann kriminell.
Umgekehrt ist es sehr schwer, sich einer politisch sinnvollen Position anzuschließen, wenn sie von einer Person vertreten wird, die man auf persönlicher Ebene nicht leiden kann. Auch das sieht man in der Politik leider immer wieder.
Politik funktioniert nämlich immer über Kontakte und Beziehungen. Deshalb sind meiner Meinung nach auch solche Modelle wie eine Begrenzung der Mandate auf nur eine einzige Amtszeit problematisch – bis sich die Person eingearbeitet und ihr Netzwerk geknüpft hat, ist sie quasi schon wieder weg und muss daher fast zwangsläufig wirkungslos bleiben. Insofern sehe ich Berufspolitiker, die über Jahrzehnte in Berlin oder Brüssel unterwegs sind nicht pauschal kritisch – solange es keine geschlossene Gesellschaft ist in die es für Neue überhaupt keinen Weg hinein mehr gibt.
Was die große Politik angeht: Wählt eine Partei, deren Politiker eure Werte und eure Sichtweisen bestmöglich teilen, dann könnt ihr davon ausgehen, dass sie sich auch bei neuen, unvorhersehbaren Problemen und Fragen in eurem Sinne entscheiden werden. Individuelle Verfehlungen von Politikern oder dass ihr mit einzelnen Entscheidungen unglücklich seid, wird das natürlich nicht verhindern.